Samstag, 23. Dezember 2017

Wahlbetrug auf munizipaler Ebene



Edras Ayala

Edras Ayala wuchs mit seiner Mutter und sieben Geschwistern in einem der ärmsten Munizipien (Erandique, Lempira) von Honduras auf. Die Familie der Mutter wählte seit Jahrzehnten die Nationale Partei. Als er selbst das erste Mal seine Stimme – Mitte der 90er Jahre - abgeben durfte, entschied er sich für die etwas weniger korrupte Liberale Partei. 

Aktiv in die Politik wollte er nie – doch dann kam der Putsch. Erst protestierte er gegen den Putsch mit der Widerstandsbewegung auf der Straße; dann trat er bei den Wahlen 2013 als Bürgermeister-Kandidat für die aus der Widerstandsbewegung entstandene Partei LIBRE an. Im Heimatbezirk [departamento] des amtierenden Präsidenten Juan Orlando Hernandez war die Niederlage vorprogrammiert. 

Die Allianz der Opposition, einem Mitte-Links- Wahlbündnis von drei politischen Parteien, gewann die Regierungspartei die Wahlen in Lempira. In einem Interview mit der HondurasDelegation erklärt Edras Ayala, wie der Wahlbetrug auf muniziapler Ebene funktioniert.  

Wie sind Sie 2017 in den Wahlkampf gegangen und wie verlief die Kampagne?

Nach dem wir die Wahlen im Jahr 2013 nicht nur auf munizipaler Ebene, sondern auch auf nationales Ebene verloren haben, organisierten wir uns als Partei besser. In der Kampagne 2013 waren wir neu und mussten uns mit zwei große etablierte Parteien messen, außerdem kannte man uns hier auf dem Land nicht und wir hatten keine finanziellen Mittel für eine Kampagne. 2013 haben wir angefangen, die Menschen in den Gemeinden im Munizip (kleinste Verwaltungseinheit in Honduras) zu besuchen und mit ihnen zu reden. Wir haben mehr Bildungsarbeit als Kampagne gemacht. Wir sprachen mit den Menschen über Demokratie, was ist ein Staat ist, wie Armut entsteht und wie wir die derzeitige Situation überwinden könnten. Dabei bin ich mit Tafel und Kreide losgezogen. Es wurde gut von den Menschen aufgenommen, aber wie es in Honduras ist, kurz vor den Wahlen wurden Stimmen gekauft und viele Leute stimmen nicht mit dem Kopf, sondern mit dem Magen ab. 

Wahlplakat der Allianz der Opposition
In den diesjährigen Wahlen haben wir eine Allianz gegründet, LIBRE, PINU und die Liberale Partei. Die Allianz war nicht offiziell, da auf nationaler Ebene die Liberale Partei keine Allianz mit LIBRE einging.

Unser Ziel war nicht nur eine Veränderung in Erandique herbeizuführen, sondern vor allem die Regierungspartei - Nationale Partei (PN) - zu entmachten. Da mit ihr die Korruption zugenommen hatte, es jedoch keine Politik gibt, um die wirtschaftliche und soziale Lage zu verbessern. 

Die Wahlkampagne in diesem Jahr war anders als im Jahr 2013, da wir mit der Liberalen Partei kooperierten. Diese führte eine traditionelle politische Kampagne durch, obwohl wir von LIBRE in der politischen Bildungsarbeit ein Potenzial sehen und dies lieber gemacht hätten, haben wir auf munizipaler Ebene einer gemeinsamen Kampagne den Vorzug gegeben. 

Wie verläuft der Wahlbetrug auf lokaler Ebene?

Es gibt viele Formen des Wahlbetruges. Auf Ebene der Munizipien wird zum einen durch die regierende Partei die gesamte Amtszeit genutzt, um Stimmen zu gewinnen. Es wird Druck auf die Leute ausgeübt und Programme zur Verbesserung der Lebensbedingungen werden konditioniert. Zum Beispiel wird das Regierungsprogramm „Vida Mejor“ (Besseres Leben] zum Stimmenkauf genutzt. Das funktioniert so, dass die PN Leute unter Vertrag nimmt, die verantwortlich dafür sind, die Hilfsgüter aus diesem Programm zu verteilen. Sie bestimmen einfach die Familien, die begünstigt werden. Die Familien müssen sich im Gegenzug dazu verpflichten, die PN zu wählen. 

Angestellte im Rathaus führen bestimmte Verwaltungsakte für Privatpersonen nur durch, wenn diese sich verpflichten, die PN zu wählen. In unserem Munizip ist die PN so weit gegangen, die Ärzte in den öffentlichen Gesundheitsstationen zu verpflichten, vor einer Behandlung einen politischen Diskurs für die Regierungspartei zu halten. Es gab im ganzen Verwaltungskreis Erandique nur einen Arzt, der sich dem verweigert hat. 

Genauso ist es mit Arbeitsplätzen ob im privaten oder öffentlichen Sektor, die Mitglieder der PN nehmen nur Leute unter Vertrag, die ihre Partei wählen. Viele Menschen halten den Druck, der über Jahre aufgebaut wird, nicht aus und wählen die PN. 

Staatliche Programme, wie das zur Verbesserung der Infrastrukur und öffentlicher Dienste, werden in den Munizipien durchgeführt, wo mehrheitlich die Regierungspartei gewählt wurde. Andere Munizipien gehen leer aus und das beeinflusst natürlich die öffentliche Meinung. 

Das gleiche passiert auch mit Projekten der internationalen Entwicklungszusammenarbeit, so konnten beispielsweise nur Gemeinden der PN am Projekt „Bono de la sequia“ [ein Programm gegen die Dürre als Folge des Klimawandels] teilnehmen.

Was passiert unmittelbar vor den Wahlen und am Wahltag?

Die Tage vor der Wahl und am Wahltag selbst sind entscheidend. Zwar ist es verboten, dass vor den Lokalen Kampagne gemacht wird, aber da es keine Gewaltenteilung gibt, steht die Polizei daneben und schaut tatenlos zu. In Erandique wurden am Vorabend Zementsäcke verteilt und am Wahltag wurden am Eingang des Wahllokales Stimmen gekauft. 200-300 Lempira (8-12 EUR) wurde pro Stimme bezahlt. In Anbetracht der Armut, ist es für viele Menschen viel Geld und dann bestimmt der Magen. Bedauerlicherweise lassen auch ökonomisch gut gestellte Leute ihre Stimme kaufen. Häufig sind es auch Menschen, die eine gute Bildung und einen Arbeitsplatz haben. 

Am Wahltag selbst wurde auch mit dem sogenannten „voto cantado“ Wahlbetrug gemacht. Laut Gesetz ist es erlaubt, dass akkreditierte Wahlhelfer*innen für Menschen mit Behinderung, kranke und alte Menschen wählen können. Die Auslegung welche Personen zu diesem Kreis gehören wurde von der PN überzogen und es gab mehr „votos cantados“ für die PN.  

Außerdem wurden Leute bestochen, von denen man weiss, dass sie die Opposition wählen würden, damit sie nicht zur Wahl gehen. Die Leute, die sich bestechen lassen, geben ihren Personalausweis vor dem Wahltag ab und bekommen ihn nach der Wahl wieder. 

Definitiv entscheiden die zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel über die Wahl und nicht das Wahlprogamm. Das ist natürlich frustrierend und demotiviert viele Menschen, die jeglichen Glauben an die Politik verlieren. 

Wie wird von der PN kontrolliert, wer für sie wählt?

Da die Wahllokale von den Parteien besetzt sind, kann man dies sehr gut kontrollieren. Jedes Wahllokal setzt sich aus akkreditierten Wahlhelfer*innen jeder Partei zusammen. Da im Vorfeld auf nationaler Ebene sogenannte „partidos de maletin“ (Briefkastenparteien) gegründet wurden, die de facto zur PN gehören, hat die Regierungspartei mehr Akkreditierungen als die anderen Parteien. Die Wahlhelfer*innen haben das Wählerverzeichnis und wissen, welche Person zu welcher Wahlurne gehört. Wenn sie meine Stimme kaufen, würden sie mir beispielsweise sagen, dass ich auf dem Wahlzettel ein zuvor vereinbartes Zeichen, einen Buchstaben oder eine Zahl machen soll, statt eines Kreuzes. Damit bleibt der Wahlzettel gültig. Sie selbst machen das gleiche Zeichen im Wählerverzeichnis und können hinter her vergleichen, ob alle, deren Stimmen gekauft wurden, auch für sie gestimmt haben.  

Wie ist Ihre Motivation für die weiteren politischen Aktivitäten nachdem Sie so viel Energie für die Kandidatur aufgebracht haben und am Ende dem Wahlbetrug nichts entgegensetzen können?

Zum Glück bin ich in ökonomischer Hinsicht nicht auf den Posten im Rathaus angewiesen, aber ich bin frustriert, dass es keine Veränderung gibt. Ich denke aber, dass man sich auch außerhalb der Politik für die Gesellschaft einsetzen kann. Derzeit bin ich ehrenamtlich im Gemeinderat meines Nachbarschaftsviertels tätig und in Zukunft werde ich andere Wege gehen, und werde mich im Bildungssektor mehr engagieren.
 
Erandique // Department Lempira